Interview mit Sofie K.


RojavaInterview mit Sofie aus Duisburg von der Organisation Young Struggle

Am 18.06.2015 wollte Sofie vom Düsseldorfer Flughafen aus nach Rojava reisen. Es sollte jedoch bei einem Versuch bleiben. Bevor sie ihre Reise wirklich beginnen konnte, um sich im Rahmen der ICOR-Solidaritätsbrigaden am Neuaufbau von Kobanê zu beteiligen, wurde ihr ein Ausreiseverbot erteilt und ihre Dokumente wurden beschlagnahmt.

Wir haben uns am 30.06.2015 mit Sofie getroffen. Dieses kurze Interview beinhaltet u.a. folgende Themenpunkte: Sofies Beweggründe, die aktuelle Situation in Rojava und internationale Solidarität.

ALD: Hallo Sofie! Wir sind neugierig: Was hat zu Deinem Entschluss geführt, Dich für die ICOR-Solidaritätsbrigaden nach Rojava zu begeben und was bedeutet der Einsatz politisch für Dich? Welche Art von Solidarität wolltest Du leisten?

Sofie: Als Young Struggle machen wir seit Jahren Solidaritätsarbeit zu Rojava und zur kurdischen Bewegung aber auch zur linken Bewegung in der Türkei. An dem Tag, als ich zum ersten Mal von den ICOR-Solidaritätsbrigaden gehört habe, war mir bewusst: Ok, da will ich auf jeden Fall hin! Das ist eine Möglichkeit bei der ich direkte Hilfe leisten kann. Und zwar vor Ort. Und es ist eine Möglichkeit außerhalb der politischen Arbeit hier in Deutschland. Meint, hier diesen Staat anzugreifen, hier die Politik und die Vorstellung anzugreifen, dass die Türkei ein Rechsstaat sei.

Für mich bedeutet Rojava den Aufbau eines Ortes bzw. einer fortschrittlichen Politik für eine ökologische und soziale Gesellschaft und das Ganze an die Öffentlichkeit zu tragen, das Ganze breit und weltweit zu unterstützen und internationale Solidarität wirklich zu leben.

Zusätzlich kann ich sagen, dass ein humanitärer Korridor den Transport von materiellen Gütern und finanziellen Hilfen nach Rojava ermöglichen würde. Dafür braucht es allerdings einen öffentlichen Druck und es braucht Menschen, die dafür öffentlicht Gesicht zeigen. Genauso braucht es Menschen die vor Ort humanitäre Hilfe leisten. Ich wollte den Neuaufbau unterstützen.

ALD: Die Geschehnisse bei deinem Ausreiseversuch dürften ja bekannt sein. Wie schätzt Du diese Reaktion der deutschen Behörden politisch ein?

Sofie: Wir schätzen das Verhalten der Polizei derzeit als einen Spaltungsversuch ein. Durch das Vorgehen sollte ein Keil zwischen die Solidaritätsbrigaden zur humanitären Hilfe und die Brigaden zur bewaffneten Verteidigung getrieben werden. Sie haben Leute festgehalten, bei denen sie den Verdacht (!) haben, dass sie sich nicht nur an der Hilfe zum Neuaufbau, sondern auch am bewaffneten Kampf beteiligen könnten. Faktisch ist es jetzt so, ein Teil ist vor Ort und ein anderer Teil eben nicht.

ALD: Welches „Nachspiel“ hat diese Repression für Dich (persönlich, politisch, juristisch; sofern absehbar)?

Sofie: Für mich persönlich hat das überhaupt kein Nachspiel. Ich wurde nicht als Person angegriffen, sondern ich wurde als politische Aktivistin angegriffen. Ich wurde als Aktivistin angegriffen, die vor Ort praktische Solidaritätsarbeit leisten wollte. Ich finde es wichtig klarzumachen, dass es nicht um Sofie K. geht, sondern es geht um die ICOR-Solidaritätsbrigaden. Diese Form der Hilfe soll als „Terrorismus“ deklariert werden. Ich denke, dass wir als Reaktion darauf weiterhin zeigen müssen, dass eine Kriminalsierung von humanitärer Hilfe die tatsächliche politische Haltung der BRD gegenüber der Türkei bzw. der kurdischen Bewegung verdeutlicht. Die BRD exportiert Waffen nach Katar, Saudi-Arabien und in die Türkei. Zudem ist die Türkei NATO-Partner. Gleichzeitig unterstützen diese drei Staaten den IS seit Monaten mit materiellen, logistischen und/oder finanziellen Mitteln. Auch wenn die BRD die Peschmerga unterstützt hat und im Bundestag darüber debattiert wird, wie man den Menschen in Rojava helfen kann, werden Menschen kriminalisiert, die sich engagieren wollen.

ALD: Findet seitens der BRD also eine Unterscheidung statt, welche Form der Hilfe legal ist bzw. welche politische Motivation hinter der Solidaritätsarbeit steht?

Sofie: Auf jeden Fall! Die ganze politische Bewegung sollte somit auch eingeschüchtert werden. Die Repression sollte auch deutlich machen, dass die Behörden jeder Zeit klar machen können: Wir können bestimmen wo du dich aufhälst! Wir können bestimmen, ob du ausreisen darfst. Ich denke nicht, dass bei dieser Repression Young Struggle an sich im Mittelpunkt steht. Jedoch haben Kommunisten, Marxisten, Leninisten Probleme bei der Ausreise. Anderer Organisationen wie beispielsweise „medico international“ haben diese Probleme nicht.

ALD: Glaubst Du, dass die Verhinderung deiner Ausreise im Vorfeld geplant war?

Sofie: Der (Bundes-)Polizei war vor meiner geplanten Ausreise bekannt, dass ich vor hatte auszureisen. Die Polizei hatte am Tag vorher angerufen und der Bundespolizei lag ein so genannter Sperrvermerk vor. Meinem Anwalt liegen jedoch immer noch nicht meine Akten vor. Daher ist mein Kenntnisstand relativ begrenzt.

Ich habe kein Geheimnis aus meinem Vorhaben gemacht, weil ich es für ein völlig legitimes Anliegen halte. Auch wenn ich nicht viel vom deutschen Staat erwarte, aber es hat mich dann doch verwundert, dass diese Form der humanitären Hilfe verhindert wurde.

An dieser Stelle nochmal zu den politischen Konsequenzen: Wir sollten sagen: Jetzt erst recht! Wir müssen die Arbeit der Solidaritätsbrigaden noch bekannter machen und mehr Menschen für die Arbeit dieser Brigaden gewinnen. Grundsätzlich sollte jede*r nach den eigenen Möglichkeiten die Arbeit unterstützen.

ALD: Aktuell ist die Lage in Rojava bzw. Kobanê und an der türkisch-syrischen Grenze sehr angespannt. Es gab mehrer Angriffe seitens des IS und auch das türkischce Militär scheint eine militärische Intervention vorzubereiten. Erdoğans Äußerungen sprechen diesbezüglich eine sehr deutliche Sprache. Wie schätzt Du die aktuelle Lage ein und was bedeutet das für die internationale Solidarität mit der kurdischen Bewegung?

Sofie: Erdoğan hat auf jeden Fall ein Problem damit, dass Rojava existiert. Es gibt regelmäßig Treffen des sogenannten Sicherheitsrates. Das ist eine Entscheidungsinstanz die noch aus der Zeit der letzten Militärjunta stammt. Dort treffen sich die Regierungschefs, der Geheimdienst und das Militär. Dort wurde von Erdoğan und dem Premierminister Ahmet Davutoğlu der Befehl an das Militär erteilt in Syrien bzw. zwischen den beiden Kantonen Efrîn und Kobanê einzumaschieren. Dort gibt es ein ca. 80 km langes Gebiet welches der IS und andere islamistische Milizen kontrollieren. In diesem Gebiet soll dann innerhalb der nächsten zwei Jahre eine Art Puffer gegen den IS sowie gegen Assad gebildet werden. Das Militär hat sich jedoch geweigert diesen Befehl auszuführen, da für solch eine militärische Opertation ein Parlamentsbeschluss vorliegen muss. Dieser Beschluss kann jedoch erst nach der Regierungsbildung erteilt werden.
Heute gab es noch mal eine Sitzung des Sicherheitsrates, mit dem Ergebnis derzeit keine militärische Operation durchzuführen. Jedoch stehen in unmittelbarer Nähe zur syrischen Grenze ca. 18.000 türkische Soldaten bereit. Sollte es zu einer militärischen Intervention seitens der Türkei in Rojava kommen, dann greift die Türkei damit die gesamte kurdische Bewegung an und beendet gleichzeitig den Friedensprozess. Dann würde sich die Türkei in ein Kriegsgebiet verwandeln, wie Karayılan erklärte.

Für die internationale Solidarität ist es daher sehr wichtig, sich auch auf solch ein Szenario vorzubereiten. Auch wir in Deutschland müssen dann ganz deutlich die BRD für ihre politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei angreifen.

Trotz alledem halte ich es für wichtig, dass sich niemand davon abschrecken lässt, praktische Solidarität in Kobanê zu leisten. Auch ich möchte nach wie vor in Kobanê daran mitwirken, dass dort eine grundlegende Basis für ein soziales Zentrum geschaffen wird.

ALD: Ich habe vor zwei Wochen mit Genossen aus der kurdisch-syrischen Stadt Dêrika Hemko gesprochen. Sie sagten, was der kurdische Widerstand braucht sind vor allem materielle und finanzielle Hilfen. Sich von Deutschland aus nach Syrien auf den Weg zu machen sei viel zu gefährlich. Wie siehst Du das? Und gab es bei Deinem Vorhaben auch (solidarische) Kritik?

Sofie: Zur Thematik der Gefährlichkeit: also was die Einreise nach Syrien über die türkische Grenze betrifft so hat man – vorsichtig formuliert – das Glück, dass man, wenn man mit einem deutschen Pass aufgegriffen wird, nach Deutschland abgeschoben wird. Natürlich sollte man sowas niemals unterschätzen. Jedoch sollten wir dies zu einem Vorteil machen, uns erwarten keine Folterknäste oder jahrelange Gefängnisstrafen, sondern unser Risiko ist relativ gering.

Was die Kritik angeht, so habe ich im Grunde nur positives Feedback erhalten. Und was die materiellen und finanziellen Hilfen betrifft, so hat nicht jede*r die Möglichkeit Geld zu spenden und materielle Hilfe wird so gut wie gar nicht über die türkisch-syrische Grenze gelassen. Viele Tonnen an Material zum Bau von Straßen und Gebäuden sind bis heute nicht in Kobanê angekommen. Die LKWs stehen Reihe an Reihe und kommen einfach nicht rüber. Trotzdem ist diese Art der Solidarität ein Mittel welches wir weiter leisten sollten. Allerdings habe ich in Erfahrungsberichten von Leuten, die bereits vor Ort waren gehört, dass die Menschen extrem dankbar sind für die Arbeit die dort geleistet wird. Und es ist immer etwas anderes, ob man halbwegs anonym Geld oder Material spendet oder, ob man den Menschen direkt gegenüber steht und ihnen in ihr Gesicht schauen kann.

Zusätzlich würde ich auch auf Ivana verweisen. Du hast ja gesagt, es ist gefährlich. Und ja, du hast recht. Ivana hat ihr Leben riskiert, aber sie hat es riskiert, weil sie der Überzeugung war, dass sie das Richtige tut. Und ich bin auch der Überzeugung, dass sie das Richtige getan hat. Gleichzeitig bin ich aber auch der Überzeugung, dass ein Neuaufbau das Richtige ist und die Menschen die dort leben, riskieren auch ihr Leben und zwar jeden Tag. Ivana hat immer gesagt: „Mein Leben ist nicht mehr wert, als das Leben der Menschen auf dem Rest der Welt.“ Sie hat ihr Leben nicht über das Leben anderer Menschen gestellt. Diese Sichtweise ist etwas, was wir von Ivana lernen können. Jede*r muss im Endeffekt selber entscheiden in welcher Form sie/er Hilfe leisten möchte. Ich sehe für mich den Weg der ICOR-Solidaritätsbrigaden als meinen Weg an.

ALD: Vielen Dank für das Gespräch und dass Du dir Zeit für unserer Fragen genommen hast.

Sofie: Klar, gerne! Zum Abschluss möchte ich noch auf eine Veranstaltung hinweisen.

Vom 25.09.2015 bis zum 27.09.2015 findet in Duisburg ein „Ivana Hoffmann“-Festival statt. Dort soll nochmal u.a. an Ivana erinnert werden und der Erlös wird nach Rojava gespendet.