„MAN KOMMT NIE MEHR WIRKLICH AUS DEM KREMATORIUM HERAUS“


Zeitzeuginnengespräch mit Marika Venezia

INPUT – antifaschistischer Themenabend am 29. Juni 2016 um 20 Uhr im
ZAKK, Fichtenstr. 40, Düsseldorf

56 Jahre war Marika Venezia aus Rom mit Shlomo Venezia verheiratet und teilte sein Schicksal und Trauma mit ihm. Ihr Ehemann, ein Jude italienischer Abstammung, der im griechischen Saloniki aufwuchs und am 1. Oktober 2012 im Alter von 88 Jahren in Rom verstarb, war einer der wenigen überlebenden Häftlinge aus dem jüdischen „Sonderkommando“ von Auschwitz-Birkenau. Er überlebte auch die Todesmärsche kurz vor dem Ende des 2. Weltkrieges und wurde letztendlich am 6. April 1945 im KZ Ebensee, einem Außenlager des KZ Mauthausen, befreit. Doch die Zeit in Birkenau blieb für ihn – und damit auch für Marika Venezia – präsent: „Was ich auch tue, was ich auch sehe, mein Geist kehrt immer wieder an diesen Ort zurück. Man kommt nie mehr wirklich aus dem Krematorium heraus.“

Veranstaltungen in Düsseldorf, Siegburg, Bielefeld und Bochum

Die seit 2002 existierende Reihe „INPUT – antifaschistischer
Themenabend“ hat Marika Venezia für den 29. Juni nach Düsseldorf
eingeladen. In einem Gespräch mit Roland Vossebrecker vom „Bildungswerk
Stanislaw Hantz e. V.“ wird sie ab 20 Uhr im Club des Kulturzentrums
ZAKK auf der Fichtenstraße über ihre Zeit mit Shlomo Venezia berichten.
Weitere Veranstaltungen mit Marika Venezia finden am 30. Juni 2016 um
19.00 Uhr im Stadtmuseum Siegburg (Forum, Markt 46, 53721 Siegburg,
Mitveranstalter: Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Köln), 1. Juli
2016 um 18.00 Uhr in der VHS Bielefeld (Murnausaal, Ravensberger Park 1,
33607 Bielefeld, Mitveranstalter: AG Freie Bildung, Antifa AG der Uni
Bielefeld) und am 2. Juli 2016 um 17.00 Uhr im Bahnhof Langendreer
(Wallbaumweg 108, 44894 Bochum, Mitveranstalter: Antifaschistisches
Bündnis Witten) statt.

Das „Sonderkommando“

Die Häftlinge des „Sonderkommandos“ wurden von der SS dazu gezwungen,
die Menschen in die Gaskammern zu führen, die Leichen auszuplündern und
diese anschließend zu verbrennen. Die SS setzte jüdische Häftlinge für
diese Aufgabe ein, nicht nur, um ihre eigenen Leute nicht einer
psychischen Belastung auszusetzen. „Juden mussten es sein, die die Juden
in die Verbrennungsöfen transportierten, man musste beweisen, dass die
Juden, die minderwertige Rasse, die Untermenschen, sich jede Demütigung
gefallen ließen und sich sogar gegenseitig umbrachten“, so der
Auschwitz-Überlebende Primo Levi. Angehörige des „Sonderkommandos“
wurden vom übrigen Lagerkomplex isoliert in den Krematoriumsgebäuden
untergebracht. Diese Maßnahme sowie die Ermordung und der Austausch von
Häftlingen des „Sonderkommandos“ dienten dazu, den Massenmord möglichst
lange zu vertuschen. Nur wenige Angehörige des „Sonderkommandos“
überlebten, neben ihren Berichten wurden in der Nachkriegszeit auf dem
Lagergelände auch versteckte Aufzeichnungen gefunden, die das grausame
Mordgeschehen dokumentierten und von später ermordeten Häftlingen des
„Sonderkommandos“ als Akt des Widerstands hinterlassen worden waren. Am
7. Oktober 1944 kam es zu einem Aufstand des „Sonderkommandos“, bei dem
drei SS-Männer und ein Kapo getötet, zwölf SS-Männer verletzt und Teile
des Krematoriums IV und der dazugehörigen Gaskammer zerstört wurden.
Weibliche Häftlinge hatten den benötigten Sprengstoff aus einer
Munitionsfabrik, in der sie Zwangsarbeit verrichteten, ins Lager
geschmuggelt. Doch die Fluchtversuche der Häftlinge im Rahmen des
Aufstands scheiterten, 450 Angehörige des „Sonderkommandos“ wurden
getötet, Unterstützer_innen hingerichtet. Kaum eine/r von ihnen hatte
tatsächlich an ein Überleben zu hoffen gewagt, der Aufstand war ein Akt
des Widerstands und der Selbstbehauptung sowie ein Versuch, möglichst
vielen anderen Häftlingen das Leben zu retten. Und er hatte auch den
„nicht-jüdischen Schicksalsgenossen gezeigt, was Juden zu tun
vermochten“, so Israel Gutman. Durch ihre Aktion hatten die Männer des
Sonderkommandos und ihre Unterstützer*innen die sich für unbesiegbar
haltende Mordmaschinerie des NS ins Wanken gebracht, anderen Häftlingen
Mut gemacht und wahrscheinlich vielen zum Überleben verholfen.

INPUT-Veranstalter_innen am 29. Juni 2016

Die Düsseldorfer INPUT-Reihe des Antifaschistischen Arbeitskreises an
der FH-D, der AG INPUT, des Antirassistischen Bildungsforums Rheinland
(ABR) und der Düsseldorfer „Falken“ findet in deutscher Sprache und am
29. Juni 2016 in erweiterter Kooperation mit dem Arbeitskreis
Gedenkstättenfahrt, dem Projekt „Erinnerungs- und Lernort“ des AStA der
FH-D, dem „Erinnerungsort Alter Schlachthof“ der Hochschule Düsseldorf,
dem Bildungswerk Stanislaw Hantz e.V., dem Buchladen BiBaBuZe, der
Kreisvereinigung Düsseldorf der VVN-BdA und dem Kulturzentrum ZAKK statt.

Literaturtipps:

Günter Born: „‚… die Angst weggeschoben‘. Vor 70 Jahren: Der Aufstand
des jüdischen ‚Sonderkommandos‘ in Auschwitz-Birkenau“. In LOTTA #57,
Herbst 2014, S. 52 ff..

Shlomo Venezia: Meine Arbeit im Sonderkommando Auschwitz. Das erste
umfassende Zeugnis eines Überlebenden, München 2008 (2. Auflage).

Bildungswerk Stanislaw Hantz e.V. (Hrsg.): Nur die Sterne waren wie
gestern. Henryk Mandelbaum. Häftling im Sonderkommando von Auschwitz
1944/1945, Ausstellungskatalog, Kassel 2006.

Gideon Greif: „Wir weinten tränenlos…“ Augenzeugenberichte des
jüdischen „Sonderkommandos“ in Auschwitz, Frankfurt am Main 2005 (6.
Auflage).

Gideon Greif / Itamar Levin: Aufstand in Auschwitz. Die Revolte des
jüdischen „Sonderkommandos“ am 7. Oktober 1944, Köln 2015.

Eric Fiedler / Barbara Siebert / Andreas Kilian: Zeugen aus der
Todeszone. Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz, München 2005
(ungekürzte, aktualisierte Ausgabe)

Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau: Inmitten des grauenvollen
Verbrechens. Handschriften von Mitgliedern des Sonderkommandos, Oświęcim
1996.