Am 13. Februar 2010 haben wir mit entschlossenen Blockadeaktionen den größten und wichtigsten Naziaufmarsch Europas in Dresden verhindert. Wir haben den Rahmen des symbolischen Protests verlassen und mit der Aktionsform Massenblockade den kollektiven Ungehorsam auch nach Dresden getragen. Mit Tausenden von Menschen, viele von ihnen aus ganz Deutschland angereist, haben wir den Ort der Auftaktkundgebung der Nazis am Bahnhof Neustadt umzingelt und konnten so den Naziaufmarsch verhindern. Die Nazis mussten völlig frustriert die Heimreise antreten.
Auch im kommenden Februar werden wir den geplanten Naziaufmarsch in Dresden verhindern. Dazu werden wir wieder mit Tausenden von Menschen Massenblockaden errichten und mit allen solidarisch sein, die unser Ziel der Verhinderung des Aufmarsches teilen.
Der alljährlich als Trauermarsch inszenierte Großaufmarsch stellt mit zuletzt über 6.000 TeilnehmerInnen den größten deutschen Naziaufmarsch dar. Aber er ist nicht nur wegen seiner Größe relevant, sondern auch wegen seiner Ausstrahlungswirkung ins europäische Ausland und seiner Binnenwirkung in die verschiedenen, sonst oft zerstrittenen Spektren der Nazis. Autonome Nationalisten, NPD, DVU, der ganz rechte Rand von Burschenschaften und änden sowie Nazis aus anderen europäischen Ländern kamen zusammen und konnten sich gemeinsam als mächtige Bewegung darstellen und erleben.
Aufruf des bundesweiten Antifa Bündnisses „No Pasaran“ weiterlesen:
Dresden, Deutschland – alles Opfer!
Der Naziaufmarsch in Dresden zeigt darüber hinaus auch besonders deutlich, dass bestimmte geschichtspolitische Diskurse der gesellschaftlichen Mitte anschlussfähig für Nazipropaganda sind.
Die Nazis versuchen – der NS-Propaganda folgend –, die Bombardierung zu einem „Völkermord aus der Luft“ zu stilisieren. In gewisser Weise knüpfen sie damit an gesamtdeutsche und Dresdener Diskurse zur Bombardierung Dresdens im Februar 1945 an. Dresden war und ist ein zentrales Motiv für das Leiden der „unschuldigen Zivilbevölkerung“ geworden, für ein Geschichtsbild also, in dem auch die Deutschen während des Nationalsozialismus vor allem Opfer waren.
Der „Mythos Dresden“ handelt von einem sinnlosen Angriff auf eine unschuldige Kulturstadt („Elbflorenz“) und ihre Zivilbevölkerung, bis hin zu angeblichen Tieffliegerangriffen auf ZivilistInnen. Diesem „sinnlosen Vernichtungswahn“ seien Hunderttausende zum Opfer gefallen. Doch Dresden war keine unschuldige Stadt. Dresden war, wie alle deutschen Städte, eine nationalsozialistische Stadt, auch die Dresdener Bevölkerung hat das nationalsozialistische Regime und damit dessen Verbrechen mitgetragen. Zudem war Dresden Garnisonsstadt und ein wichtiger logistischer Knotenpunkt in Richtung Osten.
Dennoch ist der „Mythos Dresden“ seit jeher im deutschen Geschichtsdiskurs fest verankert. Die Nazis nutzten die Bombardierung für ihre Propaganda eines „Vernichtungskriegs gegen Deutschland“, um die Deutschen zum fanatischen Endkampf anzustacheln. Die BRD-Geschichtsschreibung knüpfte hieran an, das Dresden-Buch des Holocaustleugners David Irving stand als Standardwerk in vielen westdeutschen Wohnzimmern. Die Haltung in der sowjetischen Zone stellte sich nach Kriegsende zunächst deutlich anders, hier wurde die Zerstörung als Resultat des deutschen Angriffskrieges anerkannt. Später jedoch erklärte die DDR-Führung die Zerstörung Dresdens zur antisowjetischen Machtdemonstration der Westalliierten, denen im Februar 1945 bereits klar gewesen sei, dass Dresden zur sowjetischen Besatzungszone gehören würde. Dabei übernahm die DDR auch Teile der NS-Propaganda, insbesondere die grotesk überhöhten Todeszahlen. Ihre Interpretation, die die antiimperialistische Frontstellung im „Kalten Krieg“ unterstützen sollte, verfestigte den Opfermythos in Dresden. Auch in den 90er-Jahren blieb zunächst das verbreitete Bild der „verbrecherischen“ Bombardierung mit hunderttausenden Toten bestehen.
Ab Anfang der 90er geriet der 13. Februar in das Blickfeld organisierter Neonazis, die zunächst ungestört an den Trauerfeierlichkeiten teilnehmen konnten. Anfangs mischten sie sich unter die BürgerInnen vor der Frauenkirche, 2000 gab es den ersten größeren Aufmarsch der „Jungen Landsmannschaft Ostpreußen“ (JLO) mit 500 TeilnehmerInnen. Auch diesem Aufmarsch wurde fast kein politischer Widerstand entgegengebracht. Dadurch ermutigt und mit der Erfahrung, an den herrschenden bürgerlichen Gedenkdiskurs anknüpfen zu können, kamen in den folgenden Jahren immer mehr Nazis nach Dresden. 2009 fand der bislang größte Aufmarsch mit mehr als 6.000 TeilnehmerInnen statt. Daneben beteiligten sich die Nazis an den offiziellen Feierlichkeiten am Dresdener Heidefriedhof, wo sie lange Zeit Seite an Seite mit bürgerlichen Parteien und Verbänden Kränze ablegen konnten. Auch 2010 fand das Gedenken auf dem Heidefriedhof im Beisein der sächsichen NPD-Fraktion sowie ca. 80 anderer Nazis teil, die allerdings nach Ende des offiziellen Aktes zum Kranzabwurf schreiten konnten
Tote leben länger – Mythos bleibt Mythos
In den letzten Jahren zeigt sich das Dresdener Gedenken deutlich moderner – nicht zuletzt auch nachdem antifaschistische Initiativen die Naziaufmärsche thematisiert hatten. So führte die Beauftragung einer unabhängigen Historikerkommission zur Untersuchung der Angriffe durch die Stadt Dresden zu einer teilweisen Versachlichung der sehr emotionalisierten Debatte. Seit dem wird auch offiziell von 18-25.000 Toten durch die Bombardierung gesprochen. Anstatt nur auf die eigene Opferrolle abzustellen, kam und und kommt es zu einer stärkeren Betonung der deutschen Verbrechen; diese werden allerdings immer nur zur Erklärung der Ursachen der Bombardierung genannt und verblassen damit hinter dieser.
Zentral ist und bleibt die Metapher von Dresden als „Opfer des Krieges“; die Stadt wird mit Stätten deutscher Verbrechen wie Coventry, Warschau oder Auschwitz in eine Reihe gestellt. Die Metapher vom „Krieg“ als grausame Ausnahme von der Zivilisation erlaubt es, die deutsche Schuld an Vernichtungskrieg und Shoah hinter der Inszenierung als Opfer des Krieges verschwinden zu lassen. Gleichzeitig kann Dresden sich „weltoffen“ geben und die wiederaufgebaute Frauenkirche als ein Symbol für eine geläuterte Stadt präsentieren, die die Vergangenheit auch materiell bewältigt hat. Für dieses modernisierte Gedenken dient der Nazi-Aufmarsch als willkommene Möglichkeit zur Abgrenzung und zum Beweis der eigenen Läuterung. Ein Ausdruck hiervon war die von der Oberbürgermeisterin Helma Orosz organisierte Menschenkette am 13. Februar 2010, die gleichzeitig der „Opfer des Krieges“ gedenken und ein „Zeichen gegen Rechtsextremisten“ setzen sollte.
Dresden bleibt also auf den 13. Februar und die eigene Opferidentität fixiert. Den Opfern der Bombardierungen wird in mehreren Veranstaltungen mit hoher PolitikerInnendichte gedacht. Ein vergleichbares offizielles Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus findet hingegen kaum statt – weder am 8. Mai (Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus), dem 27. Januar (Jahrestag der Befreiung von Ausschwitz) noch am 9. November (Jahrestag der Reichspogromnacht). Schließlich zeigt auch die aktuelle Debatte um ein neues Denkmal für die Opfer des 13. Februar auf dem zentralen Altmarkt, dass der Kern des modernisierten Gedenkens auch immer noch der Dresdener Opfermythos ist.
Erinnerungsweltmeister mit militärischer Machtpolitik
Der geschichtspolitische Diskurs um den „Mythos Dresden“ kann dabei, trotz einiger lokaler Besonderheiten, als perfektes Beispiel für die gesamtdeutsche Geschichtspolitik stehen. Denn auch die bundesweiten Eliten streiten seit längerem dafür, weniger über deutsche Schuld und mehr über deutsche Opfer zu sprechen. ZDF-Zweiteiler, Spiegel-Artikel, populärhistorische Bücher; Vertriebene, Dresden, Gustloff – seit über zehn Jahren werden wir immer und immer wieder mit deutschem Leid bombardiert, und das Ganze auch beim zehnten Beststeller-Buch noch mit der Attitüde des mutigen Tabubruchs.
Neben der Betonung der deutschen Opfer gibt es aber noch einen zweiten Aspekt deutscher Geschichtspolitik, der auf dem Bild des „geläuterten Deutschlands“ aufbaut, das seine Geschichte erfolgreich „aufgearbeitet“ habe. Spätestens seit der rot-grünen Bundesregierung wird so durchaus wieder an deutsche Schuld erinnert – wenn man diese Erinnerung im Sinne deutscher Machtinteressen wenden kann. Gerade wegen seiner Schuld an Vernichtungskrieg und Shoah und wegen der vorbildlichen „Aufarbeitung“ dieser Schuld sei Deutschland nun dazu prädestiniert, in Europa und der Welt dafür zu sorgen, dass „so etwas nie wieder passiert“ – und das natürlich auch mit militärischen Mitteln. Ein solcher Diskurs lässt sich für die Normalisierung des Militärischen und die Militarisierung nach innen nutzbar machen, und das machen die deutschen Eliten in perfekter Arbeitsteilung: Die Teilnahme an der Bombardierung Jugoslawiens 1999 wurde noch mit der Lüge von „Konzentrationslagern“ im Kosovo und mit den Tränen ex-pazifistischer grüner Bundestagsabgeordneter, die „doch irgendetwas dagegen tun“ mussten, verkauft.Inzwischen ist die deutsche Teilnahme an Kriegshandlungen so selbstverständlich geworden, dass als Begründung die „Verteidigung deutscher Interessen“ ausreicht. Die schwarz-gelbe Koalition kann nun verstärkt daran arbeiten, den Militarismus auch im Alltag zu verankern – mit Jugendoffizieren an den Schulen, noch mehr Gelöbnissen in der Öffentlichkeit und „Heldengedenkfeiern“ für getötete Soldaten.
Von Hufeisen und Extremismusquatsch
Gleichzeitig werden diejenigen, die sich gegen eine solche Politik wehren und die aus der historischen deutschen Schuld ganz andere Schlüsse ziehen wollen, mit der Extremismusdoktrin bekämpft. Diese sieht „Linksextremisten“ und „Rechtsextremisten“ als gleichwertige Bedrohungen für die „demokratische Mitte“ an, die gleichermaßen bekämpft werden müssen und die einander näher stehen als der Mitte. Diejenigen, die sich aktiv gegen Nazis stellen und außerdem auch den Rassismus der Mitte, ein auf Ausbeutung basierendes Wirtschaftssystem und die Einteilung der Menschen in „nützlich“ und „unnütz“ angreifen, sollen also letztlich auch nicht anders sein als die Nazis.
Bei der Umsetzung dieser absurden These sind die ächsischen Behörden ganz vorne mit dabei. Das zeigte sich z.B. Anfang 2010 mit dem Versuch der Kriminalisierung von „Dresden Nazifrei“. Die Staatsanwaltschaft ließ mehrere Objekte durchsuchen, um Mobilisierungsmaterial sicherzustellen. Der legitime Aufruf zum Blockieren des Naziaufmarsches wurde zum Aufruf zu Straftaten erklärt.
Ein besonders anschauliches Beispiel, wie reaktionäre Geschichtspolitik mit dem Mantel der „Extremismusbekämpfung“ verdeckt wird, ist das neue Sächsische Versammlungsgesetz, das „Extremisten in Sachsen deutliche Grenzen setzen“ soll. Das Gesetz verbietet u.a. Demos, die „Organe oder Vertreter der nationalsozialistischen oder kommunistischen Gewaltherrschaftals vorbildlich oder ehrenhaft darstellen.“ Es stellt damit die Rote Armee mit SS-Verbänden, also die Befreier von Auschwitz mit den Betreibern von Auschwitz, auf eine Stufe – eine glasklare NS-Verharmlosung in Gesetzesform. Am 13. und 14. Februar können sämtliche Demonstrationen an der Frauenkirche und in Teilen von Alt- und Neustadt verboten werden – so soll „würdevolles und friedliches Gedenken an die Opfer und Zerstörung Dresdens“ gegen „Randale und Ausschreitungen rechts- und linksextremistischer Gewalttäter“ geschützt werden. Das ist eine deutliche Ansage: In Dresden will man gefälligst weiter ungestört den eigenen, „guten“ Opferdiskurs pflegen und sich allenfalls mit Menschenketten symbolisch vom „bösen“ Opferdiskurs der Neonazis abgrenzen.
Dabei werden dann die Aktionen von Dresden Nazifrei und no pasarán, die sich aktiv gegen den Neonazi-Aufmarsch stellen und dabei auch den Dresdener Opfermythos kritisieren, als genauso störend empfunden wie die menschenverachtende Propaganda der Neonazis. Auf der anderen Seite hat gerade der 13. Februar 2010 gezeigt, dass sich viele Menschen von einer solchen Politik nicht abschrecken lassen; auch TeilnehmerInnen der Menschenkette fanden den Weg zu den Blockaden.
Wir stören gerne
An diesen Erfolg werden wir im Februar 2011 anknüpfen und mit Tausenden von Menschen aus Dresden und ganz Deutschland den zentralen Aufmarsch der Nazis in Dresden stoppen. Wenn uns dies zum zweiten Mal in Folge gelingt, haben wir einen großen Schritt dazu getan, dieses Nazi-Großevent auf Dauer zu knacken, weil etliche der „Kameraden“ nicht für Spontandemos und Katz-und-Maus-Spielchen mit der Polizei anreisen werden. Und wenn Dresden den Nazis nicht mehr die Gelegenheit bietet, sich als große Bewegung zu präsentieren und zu fühlen, wird die Mobilisierungsfähigkeit nach Dresden weiter sinken.
Wir werden uns aber nicht nur ganz praktisch gegen den Naziaufmarsch stellen. Wir werden uns in Zusammenarbeit mit unseren Dresdener BündnispartnerInnen auch weiter in die Diskurse vor Ort einmischen und deutlich Stellung beziehen gegen Dresdener und deutsche Opfermythen und gegen die absurde Extremismusdoktrin.
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