Naziterror – rassistischer Normalzustand

Die Gruppe “Nationalsozialistischer Untergrund” (NSU) ermordete im Laufe von über zehn Jahren mindestens zehn Menschen. Die Täter stammen aus einem neonazistischen Milieu, das sich nach der Wiedervereinigung in etlichen Gegenden in Ostdeutschland herausbildete und etablierte. Wie sich herausstellte konnten etliche der Nazistrukturen unter zur Hilfenahme des sogenannten „V-Mann“-Konzeptes der Verfas- sungsschützer_innen finanziert und aufgebaut werden. So konnte auch die Terrorstruktur NSU auf die tatkräftige Unterstützung in Form von Geldern und falschen Papieren mindestens des Thüringer Verfassungsschutzes zählen.

Von Opfern zu Tätern

Was jedoch noch mehr den Ekel hochtreibt als diese von Linken schon häufiger nachgewiesene staatliche Co-Finanzierung terroristischer Nazis- trukturen ist die Fragestellung, warum nicht nur die ermittelnden Behörden sondern auch die bundesweite mediale Öffentlichkeit den offen- sichtlichen einzigen Zusammenhang zwischen den Opfern, ihren Migrationshintergrund nämlich, so konsequent gegen diese wendet und das eigentlich naheliegende verbindende Tatmotiv Rassismus ausblendet. Alle Morde seit 2001 wurden nahezu durchgängig als migrantische Milieukonflikte inszeniert. Wenn es um die sog. „Dönermorde“ geht ist von Bandenkriegen und organisierter Kriminalität, von Schutzgelder- pressung und Auftragsmord die Rede. „Die schwer durchdringbare Parallelwelt der Türken schützt die Killer“ war im Spiegel zu lesen1. Die Folgen dessen sind Verdächtigungen und Ver- höre, denen die Opfer selber, sowie ihre Ange- hörigen und ihr soziales Umfeld ausgesetzt sind – die unerträglichen Auswüchse eines rassis- tisches Normalzustandes, der fortwährend die Opfer des Rassismus zu Tätern zu machen versucht.

„Wir wussten damals schon das es Faschos waren, genau so wie auch in der Keupstr. Aber wir haben ja alle Dreck am stecken, wir sind alle Dealer und Schutzgelderpresser, und rechte Gewalt gibt es ja nicht!” kommentiert Kutlu Yurtseven, Mitglied der Kölner HipHop-Band

Microphone Mafia auf Facebook, den Anschlag auf der Kölner Keupstraße sarkastisch. Jetzt wurden Hinweise entdeckt, dass das NSU-Trio auch hierfür verantwortlich sein könnte. Ermittelt hatten die Ermittlungsbehörden in Köln natürlich „in alle Richtungen“.

Auch bei dem Sprengstoffanschlag 2000 am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn wollte die ermittelnde Staatsanwaltschaft zuerst von einem möglichen rassistischen Motiv angesichts der Opfergruppe – zehn jüdische Migrant_innen – nichts wissen. Erst aufgrund der Intervention antifaschistischer Gruppen und dem darauf fol- genden öffentlichem Druck erweiterte sich die öffentliche Debatte.

Weitere zehn Jahre darauf (Juli 2010), weiß die konservative Rheinische Post was gegen einen rechtsradikalen Hintergrund der Tat spricht, in- dem sie den ermittelnden Staatsanwalt damit zitiert, dass „es nie ein Bekennerschreiben gegeben hat“. Eine These, die als Entschuldi- gungsmotiv auch immer wieder im Kontext der NSU von Politikern angeführt wurde, aber nicht zu halten ist: Sowohl Beamte als auch Politiker hätten es besser wissen müssen, schließlich gab es rechtsterroristische Anschläge in der Geschichte der BRD zuhauf. Spätestens seit den 1970ern gab es Mord- und Sprengstof- fanschläge auf Migrantinnen, einen jüdischen Verleger, Ausstellungen über den Holocaust, linke Buchläden, Sendeanlagen, das Oktober- fest und vieles mehr. Mit Banküberfällen wur- den Waffen- und Sprengstoffdepots finanziert und angelegt – und dies Polizei- und Gerich- tskundig. Beispielsweise übergab noch 1995 der aufgeflogene Rechtsterrorist Naumann dem Bundeskriminalamt 13 Waffen- und Sprengst- offdepots, darunter 27 Kilogramm TNT. Selbiger Naumann war für die NPD 2007 und 2008 übrigens als Berater im sächsischen Landtag tätig. Nicht Einer dieser zahlreichen Anschläge hatte ein Bekennerschreiben aufzuweisen2. In- sofern gleicht die Schlußfolgerung vom nich- tvorhandenen Rechtsterrorismus aufgrund der Ermangelung eines Bekennerschreibens einer Farce.

Eine Farce stellt auch das hartnäckig wieder- käuende Bemühen des Gleichsetzens von „linkem und rechtem Terror“ dar. Wieso kom- men bundesdeutsche Medien angesichts des Terrors des NSU auf „Braune Arme Fraktion“ anstatt auf die seit 1980 verbotene „Wehrsport- gruppe Hoffmann“? Sowohl in den Inhalten als auch in der Methodik unterscheiden sich Linke und Rechte Akteure doch erheblich. Was sol- cherlei Phantasie-Titel einiger Medien dagegen offenbaren ist der extremismustheoretische Ansatz der Gleichsetzer als das, was er ist: To- taler Totalitarismus-Nonsens.

Das neonazistische Weltbild bedeutet Mord & Terror

Ein Blick auf das ideologische Gerüst von re- chtem Terror, macht klar, dass dieser sich aus einem rassistischen und antisemitischen Alltagsdiskurs ableitet. Die Akteure, sind fest eingebunden in die neonazistischen Milieus, die nach wie vor dem Dreieck von jungendkulturellen Ausdrucksformen, politischer Intervention und Gruppengewalt tätig sind und sich etabliert haben – von Ost bis West, von Jena bis Dort- mund. Unabhängigen Berichten zu Folge hat eben jenes Milieus mit ihren Gewalttaten al- lein in den letzten 20 Jahren mindestens 182 Todesopfer zu verantworten3. Die offizielle Zäh- lart hingegen weiß nur von 49 Todesopfern, da die Einordnung, ob es sich um einen Mord mit politisch rechtem motivierte Tat handelt, den zuständigen Landeskriminalämtern unterliegt. Eben jenen Beamten, die auch bei den Morden der NSU die Opfer für die Täter hielten.

Angesichts dieser Zahlen ist eine breite Debatte über den gesellschaftlichen Nährboden notwendig, der sowohl die Grundlage für diese Taten bietet als auch die Negierung der Zusam- menhänge durch staatliche Behörden so einfach macht: Den Alltagsrassismus. Erst wenn es gelingt, diesen zurückzudrängen, wird eben auch ein wichtiger ideologischer Nährboden für den neonazistischen Alltagsterror auf der Straße entzogen. Und damit auch für die Aktivitäten eines „Nationalsozialistischen Untergrundes“ oder anderer rechtsterroristischer Strukturen, die auch nur wie ihre Neonazi-Kameraden ihre Ideologie in tödliche Aktion übersetzen – die einen mit Springerstiefel und Baseballschlägern, die anderen mit Feuerwaffen. Beide setzen das um, was ihr ganzes Umfeld als völlig legitimes Mittel ansieht: Die physische Vernichtung von Migrant_innen, Linken, Obdachlosen, Punks und allen anderen, die nicht in das Weltbild der Neonazis passen.

Rechts wegschauen – Links draufhauen

Wer den Reden neonazistischer Aktivisten in NRW zuhört oder den Parolen ihrer braunen Fusstrupps lauscht, bekommt einen oberfläch- lichen Eindruck von deren Vernichtungsphantasien – immer brav geschützt von der deut- schen Polizei und Teilen der Justiz, die in den Neonazis selbst bei Parolen wie „Linkes Gezeter – 9mm“ oder Reden die verlangen, Protagonist_ innen einer multikulturellen Gesellschaft „am nächsten Laternenpfahl aufzuhängen“ immer noch eine „schützenswerte Minderheit“ sehen wollen. So geschehen beispielsweise kürzlich vor dem Dresdener Verwaltungsgericht durch einen Richter, der einen Sitzblockierer nach §21 Versammlungsgesetz verurteilte, weil die- ser zusammen mit mehreren tausend anderen Gegendemonstrant_innen dafür gesorgt hatte, dass zum zweiten Mal in Folge Europas größter Neonaziaufmarsch nicht stattfinden konnte. Bezeichnender Weise nahmen die bisher bekan- nten Mitglieder des NSU, Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, jahrelang an eben jenem Neonaziaufmarsch teil.

Mitglieder der NSU beim Naziaufmarsch in Dresden

Die Antwort von staatlicher Seite in Dresden auf den erfolgreichen antifaschistischen Protest fiel vehement aus, hatten sich doch zig-tausende nicht an die polizeiliche Anordnung gehalten und mit Massenblockaden auf der Route den Aufmarsch blockiert: Mit einer großflächigen Funkzellenabfrage und dem Einsatz von sogen- annten IMSI-Catchern werden antifaschistische Aktivist_innen ausspioniert. Insgesamt wurden über 1 Millionen Verkehrsdaten gesammelt. Ein großer Teil der Dresdner Bevölkerung, die sich zu der Zeit in dem fraglichen Gebiet aufhielt, fällt somit unter Generalverdacht. Gegen mehr als 40 Menschen wird wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§129) ermittelt, darunter ein Jugendpfarrer. Der Vorwurf: Sie sollen die Proteste organisi- ert haben. Wohlgemerkt nicht die Vorbereitung oder Durchführung terroristischer Anschläge sind Gegenstand der Ermittlungen, sondern die massenweisen Sitzblockaden gegen Euro- pas größten Neonaziaufmarsch mit Mitteln des zivilen Ungehorsams. Des Weiteren wird die Durchführung von Aktionen vor Ort, das Blocki- eren der Naziroute bis hin zu schwerem Land- friedensbruch, vorgeworfen. Allein aus diesen Gründen gab es bundesweit bereits mehrere Razzien, welche die eigens gebildete mehrköp- fige Dresdener Sonderkommission der Polizei durchführen ließ. Einen Untersuchungsauss- chuß zur Aufklärung der durch das Nazi-Terror- trio begangenen Morde einzusetzen wurde von der sächsischen Staatsregierung indes abge- lehnt. Immerhin lassen sich Antifaschist_innen von so viel staatlichem Aktivismus gegen links nicht abhalten und rufen unter dem Motto “Alle guten Dinge sind drei! Blockieren, bis der Na-

ziaufmarsch Geschichte ist!” zur Verhinderung des nächsten Aufmarschs Ende Februar auf. Einer Aufforderung, der wir uns nur anschließen können:

Alles müssen wir selber machen: Naziaufmärsche blockieren! Rassismus bekämpfen!

Das Resultat der derzeitigen öffentlichen De- batte ist also nicht die Mobilisierung zu mehr antifaschistischen Engagement, sondern wieder einmal zeichnet sich eine Verschärfung des Law & Order-Staates ab, was dem Staatsvorstel- lungen der Täter sicherlich entgegenkommt. Die Maßnahmen lauten Schaffung einer zen- tralen Datei und eine Zentralisierung der Ver- fassungsschutz-Informationsflusses, als ob lediglich eine Anhäufung von Ermittlungspan- nen zur Nichtaufklärung der neun Morde ge- führt hätte. Von den 140 weiteren Toten ganz zu schweigen.

Fakt ist hingegen, dass das V-Mann-Konzept jahrelang für die Finanzierung der Naziszene sorgte und nicht gerade zur Erhellung der Öffentlichkeit über neonazistische Umtriebe beitrug. Was hingegen zur öffentlichen Debatte beitrug waren Informationen, Publikationen und Veranstaltungen von unabhängigen Initiativen, Antifa-Gruppen und Opferberatungsstellen. Nicht nur aus diesem Grund kann getrost auf den Verfassungsschutz verzichtet werden.

V-Mann Konzept abschaffen! Verfassungsschutz auflösen!

Antifaschistische Linke Düsseldorf, Januar 2012

Fussnoten:

1 vgl. Spiegel: Mai 2006 2 Vgl.: Prof. Fabian Virchow: „Der Rechtsterrorismus ist keine Folge der Wiedervereinigung. Die Zeit vom 24.11.2011 und ebd.: Eine unendliche Geschichte. ak Nr. 567 3 182 Todesopfer. Vgl.: http://www.netz-gegen-nazis.de/artikel/182-todesopfer-rechtsextremer-und-rassistischer-gewalt-seit- 1990-0182 4 Rede des stellvertretenden Vorsitzende des Kreisverbandes der NPD Düsseldorf/Mettmann, Manfred Breidbach, am 1.Oktober auf einer Neonazi-Demo in Hamm


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