Nichts und niemand ist jemals vergessen!

Vor sechs Jahren, am 28. März 2005, wurde der Punker Thomas Schulz von einem Neonazi ermordet. Inmitten der U-Bahn-Station Kampstraße in der Dortmunder Innenstadt wurde Thomas von dem damals 17-jährigen Sven Kahlin niedergestochen. Noch am selben Abend erlag Thomas im Krankenhaus seinen Verletzungen. Sein Mörder wurde daraufhin wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt. Eine politische Motivation hatte die I. Große Strafkammer des Dortmunder Landgerichts bei Kahlin nicht erkennen können, auch wollte das Gericht nicht von Mord sprechen, da das “Mordmerkmal der Heimtücke” nicht gegeben gewesen sei.

Dortmunder AntifaschistInnen betreiben seit den Ereignissen am Ostermontag 2005 mit alljährlichen Kundgebungen, Demonstrationen und weiteren Aktionen wie Straßenumbenennungen aktive und erfolgreiche Gedenkpolitik, um auf den Mord und dessen politischen Kontext hinzuweisen. Nicht zuletzt auch der erneute Naziangriff auf die Kneipe Hirsch Q im Dezember 2010 gibt uns allen Anlass im Rahmen der Gedenkdemo auf die recht aktive Neonaziszene in Dortmund hinzuweisen und antifaschistischen Protest auf die Straße zu tragen.

Kommt zur antifaschistischen Demonstration:
02.04.2011 | 16:00 h | Dortmund | Hauptbahnhof (Vorplatz)

Der rechte Mörder bleibt der Szene treu
Vor etwa einem halben Jahr, am 23. September 2010, ist Sven Kahlin aus der Haft entlassen worden. Nach fast genau 5 1/2 Jahren Aufenthalt in den Jugendvollzugsanstalten in Herford und Werl war er vorzeitig auf Bewährung frei gekommen. Schon während der Haftzeit waren seine weiterhin guten Kontakte zur Neonaziszene erkennbar: Als im Sommer 2007 ca. 100 Neonazis für die „Freiheit von allen nationalen politischen Gefangenen“ in Herford demonstrierten, wurde ein Grußwort Kahlins vorgetragen. Dass er sich während seiner Zeit in der JVA nicht etwa von seinen “KameradInnen” abwandte, belegt weiter seine Teilnahme an einem Neonaziaufmarsch nur kurze Zeit nach seiner Haft-Entlassung im Oktober vergangenen Jahres in Leipzig. Vielmehr hat sich Kahlins neonazistisches Gedankengut weiter gefestigt und er konnte durch seine Tat innerhalb der Hierarchie der Neonaziszene gar aufsteigen, wie sich am 23. Oktober 2010 in Hamm zeigte. Dort durfte der vor dem Mord als völlig unbedeutender rechter Mitläufer geltende Kahlin auf einem Neonaziaufmarsch ein Grußwort von der rechten Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige (HNG) verlesen. Diese betreute Kahlin während seiner gesamten Haftzeit und scheint ganze Arbeit geleistet zu haben, wie er dort in seiner Rede betonte, konnte seine neonazistische Gesinnung hinter Gittern nicht „gebrochen“ werden. Nicht zufällig trug er bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach seiner Haft ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Was sollten wir bereuen?“

Doch schon während seiner Haftzeit stand Kahlin im Fokus von AntifaschistInnen aus Dortmund. So demonstrierten zur Urteilsverkündung am 17. November 2005 ca. 80 Menschen in Dortmund spontan gegen die Entpolitisierung der Tat durch das Gericht. Und auch kurz nach seiner Haftentlassung im September 2010 zeigten ca. 250 Menschen bei einer Demonstration, dass sie Thomas nicht vergessen haben und seinem Mörder Sven Kahlin nicht vergeben werden.

Nazi-Stress in der Westfalenmetropole
Die organisierte Dortmunder Neonaziszene konzentrierte sich unterdessen im vergangenen Jahr lange Zeit auf den am 4. September geplanten Aufmarsch zum Antikriegstag. Doch wie schon 2009 übernahm wieder einmal die Polizei die Rolle des Spielverderbers, trotz Aufhebung des kurzfristigen Verbots des Aufmarschs genehmigte die Polizei nur eine Standkundgebung im abseits gelegenen Dortmunder Hafen. Der Stadtteil Dorstfeld scheint weiter fest in der Hand der Neonazis. So hielt der Zuzug von weiteren Neonazis auch 2010 an und mit dem “Nationalen Zentrum” an der Rheinischen Straße verfügt die Szene über einen Treffpunkt, welcher nicht nur für die wöchentlichen Kameradschaftstreffen genutzt wird, sondern auch für andere Veranstaltungen der Neonazis. Durch antifaschistische Intervention ist es zumindest gelungen, den Plan der Neonazis das gesamte Haus zu kaufen zu vereiteln, da die Stadt dem zuvorkam und nun Besitzer des Hauses an der Rheinischen Str. 135 ist. Dennoch ist Dorstfeld weiterhin ein Stadtteil, der von links-alternativen Menschen eher gemieden wird. Dass die Dortmunder Neonazis aber auch außerhalb Dorstfelds zur Gefahr für Menschen werden können, die nicht in ihr neonazistisches Weltbild passen, konnten im Dezember 2010 wieder einmal Gäste der Kneipe Hirsch Q erleben. In der Nacht auf Sonntag, dem 12. Dezember, waren es Neonazis der Dorstfelder Skinhead-Front, die auf brutale Art und Weise Gäste des Lokals attackierten und versuchten in die Kneipe zu gelangen. Aufnahmen von Überwachungskameras zeigen das Ausmaß der Gewalt, bei der von einem der Neonazis sogar ein Messer eingesetzt wird. Mitten im Mob der angreifenden Neonazis befand sich Sven Kahlin. Der mit anderen Neonazis noch in der selben Nacht festgenommene Mörder konnte auf den Aufnahmen der Überwachungskameras dabei identifiziert werden, wie er versucht die Scheiben des Lokals mit einem Stuhl einzuschlagen und gemeinschaftlich mit anderen Neonazis auf ein am Boden liegendes Opfer eintritt. Bei seiner Festnahme wurde ebenfalls ein Messer sichergestellt. Der Verstoß gegen Bewährungsauflagen scheint also offensichtlich, inwieweit das die Dortmunder Staatsanwaltschaft auch so sieht bleibt allerdings abzuwarten. Doch nicht immer haben es die Neonazis so einfach wie im Dezember. So wurde im August ein versuchter Angriff der Neonazis von engagierten Gästen der Kneipe Hirsch Q erfolgreich abgewehrt.

Voll extrem(istisch)?!
Von der Dortmunder Polizei werden Angriffe von Neonazis auf Andersdenkende regelmäßig zu „körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Personen der rechten und der linken Szene“ verklärt. Hierbei folgt die Polizeiführung streng der sog. „Extremismusformel“. Der Begriff des „Extremismus“ suggeriert hierbei, dass es eine demokratische politische Mitte gäbe, welche von zwei – in gleichem Maße gefährlichen – politischen Extremen bedroht wird. Eine Differenzierung zwischen politischen Einstellungen und Zielen erfolgt nicht. So werden Linke und Neonazis durch den Extremismusbegriff gleichgesetzt, was dazu führt, dass Gewalt und Strukturen von Neonazis entkontextualisiert und somit verharmlost werden. Der Extremismusbegriff hilft dem Staat und seinem Gewaltmonopol, antifaschistische Aktivitäten, welche Neonazis die Handlungsspielräume nehmen wollen, zu delegitimieren. Die „Extremismusformel“ trägt auch dazu bei, dass rechte Einstellungen wie Antisemitismus, Rassismus und autoritäre Ordnungsvorstellungen als “rechtsextreme” Randphänomene abgetan werden und nicht mehr als Ideologien wahrgenommen werden, die in der Gesellschaft unabhängig von sozialer Herkunft oder Parteipräferenz fest verankert sind. „Extremistische“ Positionen und Ideologien fallen im Weltbild der ExtremismustheoretikerInnen also nicht auf, solange sie mit dem geltenden nationalen Konsens harmonieren bzw. von ProtagonistInnen und Organisationen der selbst definierten Mitte der Gesellschaft vertreten werden. Dass der Staat gegen seine politischen Feinde vorgeht, lässt sich allerdings nicht normativ kritisieren, es ist weder richtig noch falsch, sondern einfach nur logisch. Wer radikale staats- und gesellschaftskritische Haltungen einnimmt und wem es ernst ist mit der Abschaffung von Kapitalismus, Staat und Nation, muss damit rechnen, dass der Staat ihn als Feind betrachtet, ihn politisch delegitimiert und auch mit repressiven Methoden angreift.

Von zivilgesellschaftlicher Symbolpolitik …
Die Tatsache, dass allzu häufig immer noch weggeschaut wird, wenn Neonazis ihre menschenverachtende Hetze verbreiten, zeigt, von welch großer Notwendigkeit die Kontinuität antifaschistischer Arbeit auch in Dortmund ist. Wenn BürgerInnen kurzfristig vom Medienrummel angetrieben im September auf die Straße gehen und gegen Neonazis demonstrieren, darüber hinaus aber keinerlei Interesse an sonstigen antifaschistischen Aktivitäten zeigen, ist das nicht ausreichend. Es ist hingegen bezeichnend für die örtlichen zivilgesellschaftliche AkteurInnen, dass die Dortmunder Nazis ihnen nur dann ein Dorn im Auge sind, wenn sie durch ihre gewalttätigen Aktionen wieder mal den Medienfokus und die negative Berichterstattung auf Dortmund ziehen. Ausschließlich dann finden Mahnwachen oder andere medienwirksame Aktionen statt, die nichts weiter als Symbolpolitik sind und nur der Selbstvergewisserung dienen, doch etwas “gegen Rechts” zu unternehmen. Der rechte Alltag stört hingegen nur wenige: “Kameradschaftstreffen”, Flugblattaktionen und Infoveranstaltungen von Neonazis werden allenfalls von autonomen AntifaschistInnen beobachtet und gelegentlich zum Ziel handfester Politik. Auch bei Solidaritätsaktionen wegen den zahlreichen Neonazi-Überfallen auf die Hirsch Q bleiben gemeine BürgerInnen lieber fern.

… und der Notwendigkeit eines konsequenten Antifaschismus!
Gewiss ist es gelungen, in den letzten Jahren Erfolge zu erarbeiten. Wir sind jedoch noch lange nicht zufrieden. Anti-Nazi-Arbeit wird in Dortmund solange vonnöten sein, wie Neonazis offen und ungehindert im Stadtbild in Erscheinung treten können. Dabei gilt es, die politische Arbeit auf alle Lebensbereiche auszubreiten und Freiräume zu erkämpfen und diese zu verteidigen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass ohne funktionierende Antifa-Strukturen die Neonazis in Dortmund schon längst den Ton angeben würden und die Gewalt gegenüber Menschen, die nicht in ihr antisemitisches und rassistisches Weltbild passen, weiter zugenommen hätte. Wer es jedoch mit der Bekämpfung und Kritik all jener Ideologien, welche Auschwitz möglich machten, ernst meint, für den kann die Lösung nur ein konsequenter Antifaschismus sein. Dieser muss das aktive Erinnern an vergangene sowie aktuelle Verbrechen von Neonazis mit einbeziehen und sich eine stetige Bekämpfung von Neonazis zum Ziel machen. Zudem gilt es jegliche Verhältnisse, welche Neonazis und rechte Einstellungen überhaupt erst ermöglichen, abzuschaffen.

Kommt zur antifaschistischen Demonstration:
02.04.2011 | 16:00 h | Dortmund | Hauptbahnhof (Vorplatz)

Es bleibt dabei: Nichts und niemand ist jemals vergessen!
Kein Vergessen den Opfern neonazistischer Gewalt!
Gegen Neonazis und rechte Gewalt!


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